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Regionalstraßenbahnen für die Verknüpfung von Stadt und Umland - Eine Alternative zu Regionalbahn- und S-Bahn-Systemen nicht nur in mittelgroßen Ballungsräumen

Manuskript zum Vortrag von Matthias Striebich, Landesvorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Landesverband Bayern, auf den Horber Schienentagen

Inhalt

Inhalt
0   Kurzfassung
1   Einführung: was ist unter einer Regionalstraßenbahn zu verstehen und warum ist das Thema aktuell?
  1.1   Begriffsbestimmung Regionalstraßenbahn
  1.2   Ein kurzer historischer Überblick
1.2.1 Regionalstraßenbahnen und Kleinbahnen bis 1945
1.2.2 Niedergang der Regionalstraßenbahnen im Auto- und Straßenwahn der 1960er und 70er Jahre
1.2.3 Vorbildliche Renaissance der Regionalstraßenbahnen in bestimmten Regionen
  1.3   Verkehrsplanerische Grundüberlegungen
1.3.1 Zusammenhang zwischen Entfernung zur Haltestelle und ÖV-Nutzung (nach Knoflacher) [9]
1.3.2 Umsteigezwang als Nutzungswiderstand
2   Anwendungsfälle für Regionalstraßenbahnen und spezifische Vorteile
  2.1   Die Regionalstraßenbahn im Ballungsraum: Vernetzung von Stadt und Umland und Erschliessung von Verdichtungsachsen
  2.2   Die Regionalstraßenbahn für Mittelstädte und kleine Großstädte: Verknüpfung und Erschliessung von Stadt und Umland
  2.3   Die Regionalstraßenbahn im ländlichen Raum: Vereinfachung der Betriebsführung auf bestehenden, reaktivierenden oder neu zu bauenden Nebenstrecken
3   Forderungen an die Politik zur Förderung von Regionalstraßenbahnen
  3.1   Gleichbehandlung von Regionalstraßenbahnen und Eisenbahnen bei der staatlichen Förderung
  3.2   Betriebskostenzuschüsse statt Investitionsförderung [12]
  3.3   Änderung der standardisierten Bewertung und Zuschußkriterien
  3.4   Anpassung von EBO und BOStrab (Erleichterung des Übergangs BOStrab/EBO und umgekehrt, Erleichterung der Kombination von Regionalstraßenbahn und Güterverkehr)
  3.5   Vor Ort bereits vorhandene Spielräume nutzen: Regionalstraßenbahnen realisieren statt warten (Beispiele Karlsruhe, Saarbrücken, Kassel)
4   Literatur

 

0

Kurzfassung:

An ausgewählten Beispielen wird dargestellt, daß Regionalbahn- und S-Bahn-Systeme den heutigen Anforderungen an einen modernen, attraktiven Nahverkehr nicht in vollem Maße gerecht werden. Regionalstraßenbahnen haben demgegenüber folgende Vorteile: Wesentlich höhere Haltestellendichte, einfachere Betriebsführung und niedrigerer Investitionsbedarf. Außerdem bieten sie die Möglichkeit, Wohngebiete und Verkehrsziele direkt zu erschließen, und können, bedingt durch die geringere Gefäßgröße, im dichteren Takt, auch abends und am Wochenende, betrieben werden. Dies führt durch Verkürzung von Zugangswegen und Umsteigezeiten zu deutlich verkürzten Gesamtreisezeiten. Entlang von Hauptstrecken wird dieses Angebot durch Regionalexpresszüge optimiert. Regionalstraßenbahnen haben nicht nur in mittelgroßen Ballungsräumen große Vorteile, sondern werden verstärkt auch für singuläre Mittel- und Großstädte gefordert und können auch auf ländlichen Regionalstrecken durch eine Vereinfachung der Betriebsführung langfristig einen attraktiven und wirtschaftlichen Betrieb sicherstellen. Daraus wird abschließend die Forderung an die Politik abgeleitet, der Regionalstraßenbahn (wieder) den Stellenwert zu geben, den sie verdient hat, und sie finanziell und legislativ zu fördern.

 

1

Einführung: Was ist unter einer Regionalstraßenbahn zu verstehen und warum ist das Thema aktuell?

1.1

Begriffsbestimmung Regionalstraßenbahn

Unter dem Begriff Regionalstraßenbahn soll im folgenden eine moderne Straßenbahn verstanden werden, die sowohl im Stadtgebiet als auch im Umland verkehrt. Wie im weiteren ausgeführt, eignen sich solche Systeme sowohl zur Erschließung von Ballungsräumen als auch für Mittel- und Großstädte außerhalb der Verdichtungsräume und deren Umland. Auch im ländlichen Raum können solche Systeme vorteilhaft eingesetzt werden.

Eine moderne Straßenbahn ist ein System, das vor allem über moderne, attraktive Fahrzeuge verfügt und das - sofern es im Straßenraum verkehrt - gegenüber dem motorisierten Individualverkehr bevorrechtigt ist.

Es gibt in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Begriffen wie Stadtbahn, Stadt-Umland-Bahn, etc. Einerseits ist es verständlich, daß man sich begrifflich von der alten Straßenbahn, die oft jahrelang vernachlässigt wurde und deswegen mit alten Fahrzeugen dem motorisierten Individualverkehr hinterher fuhr und jeden Stau mitnahm, abgrenzen will. Andererseits werden mit diesen Begriffen häufig Systeme beschrieben, die mit hohen Investitionen (Tunnel, unabhängiger Bahnkörper) hauptsächlich mehr Platz für den motorisierten Individualverkehr schaffen, aber den Fahrgästen lange, unattraktive Zugangswege (Tunnelstationen, Unterführungen, Treppen, etc.) und große Haltestellenabstände zumuten. Daher soll hier weiterhin der Begriff moderne Straßenbahn verwendet werden.

Regionalstraßenbahnen können im Straßenraum verkehren und dies ist in Städten und Ortschaften auch sinnvoll, denn damit können sie so nah wie möglich dorthin fahren, wo die Fahrgäste herkommen oder hinwollen. Dank Bevorrechtigung gegenüber dem motorisierten Individualverkehr sind die Straßenbahnen auch im Straßenraum zügig unterwegs. Wo Platz genug vorhanden ist, kann natürlich auch ein besonderer Bahnkörper geschaffen werden, aber hohe Investitionen dafür sind in der Regel abzulehnen. Außerhalb der Städte und Ortschaften verkehrt die Regionalstraßenbahn in der Regel abseits der Straßen. Dabei können bestehende oder ehemalige Bahntrassen verwendet werden, wobei die Möglichkeit eines Mischverkehrs mit Güterzügen geschaffen werden kann (in einigen Systemen bereits realisiert) und im Sinne einer Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene auch anzustreben ist.
 

1.2

Ein kurzer historischer Überblick

1.2.1 Regionalstraßenbahnen und Kleinbahnen bis 1945

   

Die Idee, Straßenbahnen oder vergleichbare Systeme in das Umland der Städte auszuweiten bzw. solche Systeme sogar für Strecken im ländlichen Raum einzusetzen, ist nicht neu.

Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden in vielen mittleren und größeren Städten die Straßenbahnen in Vororte verlängert (diese Strecken existieren zum Teil heute noch - nur sind aus den Vororten längst Stadtteile geworden).

Ende des 19. Jahrhunderts und im weiteren Verlauf bis 1945 wurden nicht nur in nahezu allen mittleren und größeren Städten Straßenbahnen gebaut, sondern sehr oft auch das Umland mit einbezogen. Häufig wuchsen so die Straßenbahnnetze von mehreren Städten zusammen. Die meisten dieser oft ausgedehnten Netze sind leider verschwunden (siehe nächster Punkt). Erinnert sei nur beispielhaft an die ausgedehnten Straßenbahnnetze im heutigen Nordrhein-Westfalen (von Aachen bis Dortmund/Unna und von Köln bis Oberhausen), von denen nur ein Bruchteil übrig geblieben ist, wobei selbst diese Restnetze noch teilweise einen beträchtlichen Umfang haben und den Begriff Regionalstraßenbahn durchaus rechtfertigen.

Auch im ländlichen Raum wurden straßenbahnähnliche Systeme eingesetzt, wobei der Übergang zwischen Straßenbahn und elektrisch betriebener Kleinbahn bzw. Eisenbahn fließend war. Diesen fließenden Übergang zeigen auch die wenigen noch übrig gebliebenen Strecken wie beispielsweise Lichtenhain-Cursdorf (Thüringen), Gotha-Tabarz (Thüringen), Bad Schandau (Sachsen), etc.
 

1.2.2 Niedergang der Regionalstraßenbahnen im Auto- und Straßenwahn der 1960er und 70er Jahre

   

Schon in den 1930er Jahren kam es zu den ersten Streckenstillegungen von Straßenbahnen und Kleinbahnen. Die damals herrschende Ideologie sah die Zukunft in der Vollmotorisierung der Bevölkerung (Volkswagen) und der "Breitspurbahn". Folgerichtig wurden Straßenbahnen und Kleinbahnen schon zu dieser Zeit als Hindernis für den "Fortschritt" angesehen. Allerdings waren die meisten dieser Bahnen als Transportmittel noch unverzichtbar, so daß es vorläufig bei der Stillegung einzelner, kleinerer Strecken blieb.

Zu einem beispiellosen Niedergang der Straßenbahnen und Kleinbahnen kam es im Gebiet der damaligen Bundesrepublik im Autowahn der 1960er und 70er Jahre. Dabei verloren nahezu alle Städte bis 100.000 Einwohner ihre gesamten Straßenbahnnetze, zum Teil geschah dies auch in deutlich größeren Städte. Besonders drastisch war dieser Einschnitt bei den Regionalstraßenbahnen und Kleinbahnen, die fast völlig verschwanden.

Damit wurde ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Nahverkehrs in einem ungeheuren Ausmaß zerstört. Nur in wenigen Regionen überlebten Regionalstraßenbahnen und in einigen wurden bzw. werden sie (wieder) eingeführt (wie in den folgenden Abschnitten beschrieben). Es ist Zeit für eine umfassende Renaissance der Regionalstraßenbahnen.
 

1.2.3 Vorbildliche Renaissance der Regionalstraßenbahnen in bestimmten Regionen

1.2.3.1  Region Karlsruhe [3], [6], [8], [13]
   

In der Region Karlsruhe hat in den vergangenen Jahrzehnten eine beispielhafte Renaissance des Prinzips Regionalstraßenbahn stattgefunden. Die Entwicklung der Regionalstraßenbahnen in Karlsruhe und Umgebung war und ist so beispielgebend, daß der Idee, mit Straßenbahnen Stadt und Umland zu verknüpfen, sogar der Name "Karlsruher Modell" gegeben wurde.

Das Karlsruher Modell nahm seinen Anfang mit der Albtalbahn. Diese elektrisch betriebene Kleinbahn nach Bad Herrenalb stand vor der Stillegung, aber statt sie stillzulegen, wurde sie in das Karlsruher Straßenbahnnetz integriert. Die "erste" moderne Regionalstraßenbahn war geboren. Bald zeigte sich der große Vorteil, der direkten Verknüpfung zwischen Stadt und Umland durch das System Regionalstraßenbahn. Von der Region direkt in die Stadtmitte, direkt in die Fußgängerzone mit dichtem Haltestellenabstand - dieses Prinzip schlug ein und führte zu ständig steigenden Fahrgastzahlen.

Weitere Strecken folgten: Als nächstes folgte eine Strecke in Richtung Norden, die zum Teil eine für den Personenverkehr stillgelegte Eisenbahnstrecke im Mischverkehr mit Güterverkehr nutzte, wobei die an dieser Strecke liegenden Orte durch in den Ortskern hinein geführte Schleifen direkt erschlossen wurden. Weitere Strecken wurden völlig neu gebaut und Bahnstrecken auf Straßenbahnbetrieb umgestellt. Dabei wurde zum Teil ein neues Prinzip realisiert, nämlich der Einsatz von Zwei-System-Fahrzeugen, die zwischen dem Stromsystem der DB AG (15 kV, 16 2/3 Hz) und dem Stromsystem der normalen Straßenbahn (750 V, DC) umgeschaltet werden können.

Inzwischen führen von Karlsruhe aus in alle Himmelsrichtungen Regionalstraßenbahnen - teilweise mit beträchtlichen Längen. Ständig werden weitere Strecken einbezogen oder neu gebaut. Die neuen Strecken werden immer sehr gut angenommen - die Zunahme der Fahrgastzahlen übertrifft häufig die Erwartungen um ein Mehrfaches.
 

1.2.3.2  Region Saarbrücken
   

Die erste Stadt, die eine Regionalstraßenbahn nach Karlsruher Vorbild neu einführte, war Saarbrücken. Die Straßenbahn in Saarbrücken war bereits seit Jahrzehnten stillgelegt als man sich in Saarbrücken dazu entschloß, eine Regionalstraßenbahn einzuführen. Als erster Bauabschnitt wurde im Stadtgebiet Saarbrücken ein Straßenbahnabschnitt neu gebaut und eine Bahnstrecke im Umland einbezogen. Weitere Strecken sind geplant bzw. im Bau. Auch in Saarbrücken führte die Einführung der Straßenbahn in Stadt und Umland zu einer beträchtlichen Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Verkehrs und in der Folge auch zu einer entsprechenden Zunahme der Fahrgastzahlen.
 

1.2.3.3  Region Kassel [1], [5]
   

Im Schatten der weithin bekannten Beispiele Karlsruhe und Saarbrücken entsteht in Kassel und Umgebung ebenfalls ein ständig wachsendes Regionalstraßenbahnnetz, ohne daß dieses bisher den gleichen Bekanntheitsgrad erreicht hätte. Dabei können sich die Erfolge in Kassel durchaus sehen lassen. In Kassel wurde seit jeher die Straßenbahn im Stadtgebiet ausgebaut und modernisiert. Dabei wurden und werden auch (eingemeindete) Vororte einbezogen. Vor einigen Jahren kam neu hinzu, daß der nicht zum Kasseler Stadtgebiet gehörende Ort Baunatal durch die Straßenbahn erschlossen wurde. Nun wird eine weitere Umlandstrecke einbezogen, nämlich die sogenannte Lossetalbahn - eine im Personenverkehr stillgelegte Bahnstrecke. Der erste Bauabschnitt wurde vor kurzem erfolgreich in Betrieb genommen - mit der Betriebsaufnahme dieses ersten Teilstücks stiegen die Fahrgastzahlen bereits um 16 Prozent. Die Strecke soll in weiteren Bauabschnitten ca. 20 Kilometer ins Umland verlängert werden. Die Straßenbahn verkehrt dabei zum Teil im Mischverkehr mit dem Güterverkehr.
 

1.2.3.4  Weitere Planungen
   

In einer Reihe von weiteren Regionen denkt man inzwischen über die Einführung von Straßenbahnen, die Stadt und Umland verbinden, nach (z.B. [2], [7]). Die Planungen sind unterschiedlich weit gediehen, aber insgesamt kann gesagt werden, daß die Idee sich weiter ausbreitet. Allerdings wird noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten sein, um den großen Durchbruch, also die Realisierung von Regionalstraßenbahnen in Dutzenden und Hunderten von Regionen, zu schaffen.
 

1.3

Verkehrsplanerische Grundüberlegungen

1.3.1 Zusammenhang zwischen Entfernung zur Haltestelle und ÖV-Nutzung (nach Knoflacher) [9]

   

Unter anderem durch Untersuchungen von Knoflacher wurde festgestellt, daß die ÖV-Nutzung bereits ab einer Entfernung von 250 Metern zur Haltestelle beträchtlich absinkt. Das spricht dafür, daß öffentliche Verkehrsmittel möglichst direkt dorthin fahren sollten, wo die Menschen her kommen oder hin wollen. Straßenbahnen haben dabei gegenüber Vollbahnen den entscheidenden Vorteil, daß sie im Straßenraum verkehren können und damit viel direkter in Siedlungsgebiete, Gewerbegebiete, Innenstädte, etc. hineinfahren können und damit die Zugangswege erheblich verkürzen. Zusätzlich kann mit Straßenbahnen im Bedarfsfall ein wesentlich geringerer Haltestellenabstand erreicht werden und damit die Erschließung weiter verbessert werden.

Gegenüber der Bedienung mit Bussen, die theoretisch die gleichen Vorteile hinsichtlich der Erschließung bieten könnten, haben Straßenbahnen den Vorteil, höheren Komfort (Schienenverkehrsmittel, geringere Querbeschleunigung, bessere Federung, etc.), umweltfreundlicheren Betrieb (weniger Lärm und Emissionen, am Ort des Betriebs sogar emissionsfrei), höhere Verfügbarkeit und niedrigere Fahrzeiten zu bieten.
 

1.3.2 Umsteigezwang als Nutzungswiderstand

   

In zahlreichen Untersuchungen wurde immer wieder gezeigt, daß jeder Umsteigevorgang die Akzeptanz der öffentlichen Verkehrsmittel erheblich reduziert. In erster Näherung kann gesagt werden, daß jeder Umsteigevorgang die ÖV-Nutzung um die Hälfte reduziert.

Dies spricht dafür, möglichst viele Direktverbindungen anzubieten und - wenn das Umsteigen schon unvermeidlich ist - den Umsteigevorgang so angenehm, unkompliziert und problemlos wie möglich zu gestalten. Die in der konventionellen Verkehrsplanung oft verfolgte Strategie, auf Hauptachsen "Schnellbahnen" (S-Bahn, U-Bahn, "Stadtbahn") mit geringer Haltestellendichte und geringer Erschließungswirkung zu realisieren und die Flächenerschließung dem Bus zu überlassen, führt hier zu einer Reihe gravierender Nachteile: 1.) Die Zahl der Umsteigevorgänge wird drastisch erhöht, weil durch die geringe Erschließung der Schnellbahnen fast immer auf Zubringersysteme umgestiegen werden muß. 2.) Die Umsteigevorgänge selbst werden zusätzlich sehr unattraktiv, da die Wege zwischen Schnellbahn und Bus meist sehr lang sind, sich über mindestens eine, meist mehrere Ebenen nach oben oder unten hinziehen (das bedeutet Treppen, Unterführungen, Angstecken) und eine Anschlußsicherung oft nicht stattfinden kann.

Straßenbahnen bieten hier eine Reihe von Vorteilen: 1.) Die Straßenbahnen können, wie erwähnt, viel besser direkt zu den Start- und Zielpunkten fahren und machen damit oft Zubringerdienste unnötig. 2.) Durch die höhere Netzdichte können mehr Direktverbindungen angeboten werden, die weitere Umsteigevorgänge unnötig machen. 3.) Wenn schon umgestiegen werden muß, kann das Umsteigen Bus/Straßenbahn oder Straßenbahn/Straßenbahn meist so organisiert werden, daß direkt am gleichen Bahnsteig in das nächste Verkehrsmittel umgestiegen werden kann - d.h. die Wege sind kurz und eine Anschlußsicherung ist leicht zu realisieren.
 

2

Anwendungsfälle für Regionalstraßenbahnen und spezifische Vorteil

Die im folgenden gezeigten Beispiele sind der Realität entlehnt (sie stammen größtenteils aus der Region Mittelfranken - Kenner werden sicher erkennen, um welche Achsen oder Gebiete es sich handelt). Die Namen der einzelnen Städte sind jedoch hier absichtlich verallgemeinert, weil 1.) die Diskussion um einzelne, spezielle Fälle für einen Großteil der Leser nicht so interessant sein dürfte und weil 2.) ähnliche Fälle in Deutschland zu Dutzenden und Hunderten vorkommen. Der Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim hat zu Recht davon gesprochen, daß deutschlandweit in ca. 150 bis 250 Städten ein "Modell Karlsruhe", also eine moderne Regionalstraßenbahn realisiert werden sollte. Die folgenden Beispiele sind also Legion, sie wiederholen sich zu Dutzenden und Hunderten.
 

2.1

Die Regionalstraßenbahn im Ballungsraum: Vernetzung von Stadt und Umland und Erschließung von Verdichtungsachsen

2.1.1.1  Die Regionalstraßenbahn in der Verdichtungsachse (Alternative zur S-Bahn)
   

Mit dem Begriff S-Bahn werden sehr unterschiedliche Systeme beschrieben. Zunächst gibt es die klassischen S-Bahnen in Millionenstädten wie Berlin und Hamburg. Diese Systeme existieren in diesen Städten oft schon seit beinahe hundert Jahren und sind aus dem Nahverkehr dieser Städte und deren Umland kaum mehr wegzudenken.

Vor dem Hintergrund dieser erfolgreichen Systeme werden für Verdichtungsachsen in Ballungsräumen von der konventionellen Verkehrsplanung häufig S-Bahnen als Lösung geplant (z.B. im Großraum Nürnberg). Das bedeutet in der Regel, daß parallel zu bestehenden Bahnstrecken ein drittes oder viertes Gleis sowie an den bestehenden Haltepunkten und Bahnhöfen Hochbahnsteige mit Unterführungen oder Überführungen als Zugang gebaut werden. Auf diesen Gleisen wird dann in den Hauptverkehrszeiten ein 20-Minuten-Takt und in den übrigen Zeiten ein 40-Minuten-Takt eingerichtet. Zusätzliche Haltepunkte werden in der Regel kaum geschaffen.

Dieses Konzept führt zu folgenden Nachteilen:

  • Die Investitionen sind immens: Hochbahnsteige und die Realisierung zusätzlicher Gleise an den Hauptstrecken (in der Regel mit zahlreichen Einschnitten, Dämmen, Brücken, Überwerfungsbauwerken, etc.) verschlingen Unsummen. Dies verlängert die Bauzeit und bindet Mittel, die an anderer Stelle dringend benötigt würden.
  • Die Erschließungswirkung ist meist äußerst schlecht, da Hauptstrecken - wie erwähnt - häufig in Einschnitten und Dämmen verlaufen und sich die Siedlungen meist von der Bahnstrecke weg entwickelt haben (durchaus nachvollziehbar, denn bis vor einigen Jahren (zum Teil bis heute) gab es auf Hauptstrecken noch nennenswerten Güterverkehr - vor allem nachts). Zudem erlauben die S-Bahn-Systeme nur einen relativ großen Haltestellenabstand.
  • Dies führt zu langen Zugangswegen (wie in Abschnitt 1.3.1 gezeigt, vermindert dies die Akzeptanz erheblich) und/oder zur Notwendigkeit, für einen Großteil der Quell- und Zielgebiete Zubringerdienste (Busse) einzurichten. Die Folge sind hohe Gesamtreisezeiten (siehe Tabelle 1), hohe Betriebskosten (für die Zubringerdienste) und eine verschlechterte Akzeptanz (siehe auch Abschnitt 1.3.2).
  • Die S-Bahnen sollen gleichzeitig die Siedlungsachse erschließen und eine schnelle Verbindung ("Schnellbahn") in die Zentren und zwischen den Zentren des Ballungsraums darstellen. Durch diese Zwitterrolle erfüllt die S-Bahn beide Funktionen mehr schlecht als recht. Die Erschließung mißlingt wegen des dafür zu großen Haltestellenabstands und die schnelle Verbindung zwischen den Zentren gelingt auch nicht, weil dafür hält die S-Bahn wieder zu oft (dafür ist der RegionalExpress das attraktivere Angebot).
  • Die Angebotsqualität wird gegenüber dem Statuts quo kaum verbessert. Auf den Hauptstrecken verkehren die Regionalbahnen in der Regel schon vor dem S-Bahn-Bau mindestens im Stundentakt (in der Hauptverkehrszeit normalerweise noch öfter). Dazu kommen noch RE-Bahnen (oft ebenfalls stündlich). Nach dem S-Bahn-Bau gibt es zwar in der Hauptverkehrszeit einen 20-Minuten-Takt und damit eine gewisse Verbesserung, aber der in den übrigen Zeiten angebotene 40-Minuten-Takt stellt gegenüber dem Status quo eher eine Verschlechterung dar. Zudem wird häufig mit dem Hinweis, die S-Bahn sei ja eine "Schnellbahn", das RE-Angebot zumindest abends und am Wochenende ausgedünnt (gerade dies stellt eine massive Verschlechterung dar).

Bild 1a, b Bild 1a, b: Siedlungsachse im Verdichtungsraum: Vergleich des Konzepts S-Bahn (Bild 1a) mit dem Konzept Regionalstraßenbahn + RE-Bahn (Bild 1b)

Als sinnvolle Alternative dazu wird hier ein Konzept vorgeschlagen, das aus einer Kombination von Regionalstraßenbahnen (für die Erschließung der Verdichtungsachse) und einem vertakteten und verdichteten RE-Angebot auf der bestehenden Hauptstrecke (für die Verknüpfung der Zentren entlang der Achse untereinander und mit dem Hauptzentrum) besteht. Ein solches Konzept wird beispielhaft in Bild 1 dargestellt. Ähnliche Beispiele gibt es an den Verdichtungsachsen der Ballungsräume zu Dutzenden. Die Vorteile sind folgende:

  • Direkte Erschließung der Quell- und Zielgebiete durch die Regionalstraßenbahn. Dadurch kurze Zugangswege und kurze Gesamtreisezeiten. Weiterer Vorteil: Die Regionalstraßenbahn fährt vor der Haustüre und dringt so viel besser ins Bewußtsein.
  • Schnelle, regelmäßige Verbindung zwischen den Zentren durch die RE-Bahn mit dichtem Takt.
  • Niedrigerer Investitionsbedarf für die Regionalstraßenbahn pro Kilometer als für die S-Bahn. Dadurch schnellere Realisierung möglich. Bei Bedarf (Siedlungsstruktur, Verkehrsdichte) können statt einer S-Bahn-Strecke auch mehrere Regionalstraßenbahnstrecken (bei gleichen Investitionen) realisiert und damit die Erschließung weiter verbessert werden.
  • Erschließung der Innenstädte: Statt ein oder zwei S-Bahnhöfen kann eine ganze Reihe von Haltepunkten direkt in der Innenstadt und in Gewerbegebieten realisiert werden.

Relation S-Bahn Regionalstraßenbahn + RE-Bahn
K-bach Nord -
E-stadt Schloßplatz
Fußweg 15 min
Fahrzeit 9 min
Fußweg 8 min
Summe 32 min
Fußweg 4 min
Fahrzeit (Straßenbahn) 23 min
Fußweg 2 min
Summe 29 min
Entscheidender Vorteil ist der kurze Fußweg (und nicht die reine Reisezeitdifferenz)!
B-reuth Geigenbauersiedlung -
N-berg Plärrer
Fußweg 15 min
Fahrzeit (S-Bahn) 28 min
Umsteigen (Fußweg/Wartezeit) 5 min
Fahrzeit (U-Bahn) 1 min
Summe 49 min
Fußweg 3 min
Fahrzeit (Straßenbahn) 42 min
Summe 45 min
Entscheidender Vorteil ist der kurze Fußweg und der Wegfall des Umsteigens (und nicht die reine Reisezeitdifferenz)!
B-dorf Wellerstadt -
F-heim Süd (Gewerbegebiet)
Fußweg 15 min
Fahrzeit (S-Bahn) 7 min
Umsteigen (Wartezeit) 5 min
Fahrzeit (Stadtbus) 10 min
Fußweg 3 min
Summe 40 min
Fußweg 4 min
Fahrzeit (Straßenbahn) 8 min
Fußweg 5 min
Summe 17 min
F-heim Reuth -
E-stadt Siemensverwaltung
Fahrzeit (Stadtbus inkl. Fußweg/Wartezeit) 15 min
Fahrzeit (S-Bahn) 7 min
Umsteigen (Wartezeit) 5 min
Fahrzeit (S-Bahn) 13 min
Umsteigen (Wartezeit) 5 min
Fahrzeit (Stadtbus) 5 min
Fußweg 2 min
Summe 45 min
Fahrzeit (Straßenbahn inkl. Fußweg/Wartezeit) 10 min
Umsteigen (Wartezeit) 5 min
Fahrzeit (RE-Bahn) 10 min
Umsteigen (Wartezeit) 7 min
Fahrzeit (Straßenbahn) 3 min
Fußweg 2 min
Summe 37 min
Tabelle 1: Vergleich der Reisezeiten bei Konzept S-Bahn (Bild 1a) und bei Konzept Regionalstraßenbahn + RE-Bahn (Bild 1b)
 
2.1.1.2  Die Regionalstraßenbahn als Lösung für Nebenstrecken und zur Erschließung der sekundären Verdichtungsachsen
   

Regionalstraßenbahnen bieten die Möglichkeit, auch die sekundären Verdichtungsachsen in Ballungsräumen vorteilhaft zu erschließen.

Entlang dieser Achsen existieren (bzw. existierten) häufig Bahnnebenstrecken, die allerdings oft zumindest im Personenverkehr stillgelegt wurden oder sogar gänzlich stillgelegt und abgebaut sind. Oft haben sich die Siedlungsgebiete auch an diesen Achsen von den Bahnstrecken weg entwickelt, weil im Straßenwahn der 1960er bis 1980er Jahre (teilweise bis heute) sich niemand darum gekümmert hat, ob Siedlungsgebiete günstig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind. Zudem genügt ein Bahnhof pro Ortschaft bei weitem nicht mehr, da Ortschaften und Siedlungen in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark gewachsen sind.

Außerdem sind infolge der Stadtflucht der letzten Jahrzehnte weitere Verdichtungsgebiete entstanden, die zum Teil noch nie über einen Bahnanschluß verfügten. Diese Gebiete kommen in der Regel auch nicht für den Neubau einer konventionellen Eisenbahnstrecke in Frage.

Für die genannten Fälle bieten Regionalstraßenbahnen sehr gute Lösungsmöglichkeiten:

  • Die Wiederinbetriebnahme von stillgelegten Bahnstrecken sowie die neue Erschließung von Siedlungsgebieten ist mit Regionalstraßenbahnen wirtschaftlich und mit hohem Attraktivitätsniveau möglich.
  • Die Umstellung bestehender Bahnstrecken auf Straßenbahnbetrieb erlaubt die Schaffung zusätzlicher Haltepunkte bei gleichzeitiger Reduzierung der Fahrzeiten durch das wesentlich bessere Beschleunigungsvermögen der Straßenbahnfahrzeuge (siehe Bild 2). Außerdem wird die Möglichkeit, Direktverbindungen zu realisieren, verbessert. Die Erschließung der Innenstadt kann durch mehrere Haltepunkte direkt im Innenstadtbereich statt nur einem Halt am Bahnhof wesentlich verbessert werden.
  • Wenn sich eine Ortschaft oder ein Siedlungsgebiet von der Bahnstrecke bzw. vom Bahnhof weg entwickelt hat, kann durch eine Schleife der Regionalstraßenbahn das Gebiet optimal erschlossen werden (siehe Bild 3).
Bild 2a, b Bild 2a, b: Nebenstrecke im Einzugsgebiet eines Ballungsraums: Vergleich konventionelle Regionalbahn (unten rechts) mit Regionalstraßenbahn (oben links)

 
Bild 3 Bild 3: Wenn sich eine Ortschaft oder ein Siedlungsgebiet von der Bahnstrecke bzw. vom Bahnhof weg entwickelt hat, kann durch eine Schleife der Regionalstraßenbahn das Gebiet optimal erschlossen werden - dabei kann die alte Strecke und der alte Haltepunkt durchaus erhalten bleiben (z.B. für den Güterverkehr, für Eilkurse oder zur Erschließung des an die alte Strecke angrenzenden Gebiets z.B. durch jeden 2. Kurs)

 
2.1.1.3  Dichtes Netz in Stadt und Umland: Erschließungsqualität und Direktverbindungen
   

Zusätzlich zu den in den vorangegangenen Abschnitten gezeigten Vorteilen, ergibt sich ein weiterer entscheidender Vorteil gerade in Ballungsräumen: Statt nur einzelne Punkte auf wenigen Hauptachsen zu verbinden, kann mit Regionalstraßenbahnen ein dichtes Netz sowohl innerhalb des Stadtgebiets als auch im Umland realisiert werden (siehe Bild 1b in Abschnitt 2.1.1.1). Dadurch können wesentlich mehr Direktverbindungen geschaffen werden und durch die größere Haltestellendichte können wesentlich mehr Quellen und Ziele erschlossen werden.

 

2.2

Die Regionalstraßenbahn für Mittelstädte und kleine Großstädte:
Verknüpfung und Erschließung von Stadt und Umland

   

Mittelstädte und kleine Großstädte außerhalb der Ballungszentren leiden ebenfalls fast immer unter erheblichen Verkehrsproblemen. Ein Hauptproblem dabei ist die Verknüpfung der Stadt mit dem Umland. Die weitaus meisten Pendler aus dem Umland fahren ebenso wie Menschen, die zum Einkaufsbummel, Arzt etc. wollen, mit dem Auto in die Stadt. Obwohl diese Städte meist an einer (oder mehreren) Bahnstrecken liegen (oft sind diese Städte ja gerade in ihrer Eigenschaft als Eisenbahnknoten im letzten Jahrhundert zu Mittel- und Großstädten geworden), wird die Bahn als Verbindung zwischen Stadt und Umland wenig genutzt. Oft liegt der Bahnhof ungünstig zum Stadtzentrum und immer ist ein Bahnhof nicht ausreichend, um auch nur eine minimale Anzahl von Zielpunkten in der Stadt zu erschließen.

Hier stellen Regionalstraßenbahnen ebenfalls eine vorteilhafte Lösungsmöglichkeit dar: Durch den Neubau von relativ kurzen Straßenbahnabschnitten in der Stadt, die außerhalb auf bestehende Bahnstrecken geführt werden, kann kostengünstig eine optimale Verknüpfung zwischen Stadt und Umland realisiert werden. Durch geeignete Linienführung können dabei sogar noch einige Stadtteile erschlossen werden und damit auch die Verbindung innerhalb der Stadt verbessert werden. Auf den Umlandstrecken kann, wie in anderen Abschnitten beschrieben (siehe 2.1.1.2 und 2.3), durch neue Haltepunkte und kurze Neubauabschnitte die Erschließung verbessert werden. Natürlich eignet sich das System auch zur Wiederinbetriebnahme bzw. gegebenenfalls auch für den Neubau von Bahnstrecken in der Umgebung dieser Städte.

Allein in Bayern gibt es eine ganze Reihe solcher Städte, die für eine derartige Lösung in Frage kommen (Regensburg, Rosenheim, Aschaffenburg, Coburg, Hof, Kempten, Landshut, Passau, usw.) - zum Teil gibt es bereits konkrete Planungen.

Bild 4 Bild 4: Die Verknüpfung von Mittelstädten und kleinen Großstädten mit dem Umland kann durch Regionalstraßenbahnen erheblich verbessert werden. Damit können die - in der Regel immensen - Verkehrsprobleme dieser Städte erheblich entschärft werden.

 

2.3

Die Regionalstraßenbahn im ländlichen Raum: Vereinfachung der Betriebsführung auf bestehenden, zu reaktivierenden oder neu zu bauenden Nebenstrecken

   

Regionalstraßenbahnen bieten im ländlichen Raum die gleichen Vorteile wie in Ballungsräumen und an Siedlungsachsen (siehe auch Abschnitt 2.1), d.h. bei Bedarf kann eine höhere Haltestellendichte und damit eine wesentlich bessere Erschließungswirkung erreicht werden. Wenn sich ein Siedlungsgebiet von der Bahnstrecke weg entwickelt hat, kann es durch einen kurzen Neubauabschnitt entlang bestehender Straßen optimal erschlossen werden (siehe Bild 3).

Dazu kommen folgende Vorteile:

  • Leichte Fahrzeuge, d.h. geringere Aufwendungen für Unterhalt von Oberbau und Unterbau - dies ist gerade für Strecken im ländlichen Raum interessant
  • .
  • Hohes Beschleunigungs- und Bremsvermögen der Fahrzeuge.
  • Attraktive Fahrzeiten.
  • Vereinfachung von Sicherungstechnik und Betriebsführung möglich (insbesondere an Bahnübergängen und bei Zugkreuzungen).
  • Niederflurfahrzeuge ermöglichen kostengünstige und attraktive Gestaltung der Haltestellen.
  • Vereinfachung der Reisendensicherung möglich.
  • Abschnittsweise Betrieb nach BOStrab oder EBO (je nach Bedarf) möglich (bzw. nach einer neu zu schaffenden Betriebsform "dazwischen", siehe Abschnitt 3.4).

 

3

Forderungen an die Politik zur Förderung von Regionalstraßenbahnen

3.1

Gleichbehandlung von Regionalstraßenbahnen und Eisenbahnen bei der staatlichen Förderung

Der Stand der Dinge ist, daß Regionalstraßenbahnen und Eisenbahnen (Vollbahnen) von der staatlichen Förderung völlig unterschiedlich behandelt werden.

Der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) auf Vollbahnen wird im Wesentlichen von den Ländern mit den Regionalisierungsmitteln finanziert. Zwar gibt es gewisse landesspezifische Unterschiede in der Abwicklung (die einen Länder bestellen den SPNV direkt, andere über Landeseisenbahngesellschaften, noch andere haben regionale Aufgabenträger gegründet bzw. vorhandene Verbünde etc. als Aufgabenträger eingesetzt), aber die kommunalen Gebietskörperschaften bekommen den SPNV auf der Eisenbahn praktisch "frei Haus" und müssen im allgemeinen weder für Investitionen noch für den Betrieb aufkommen.

Straßenbahnen werden dagegen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) gefördert, d.h. - unter bestimmten Voraussetzungen (siehe auch die folgenden Abschnitte) - werden von Bund und Land zwischen 50 und knapp 90 Prozent der Investitionen gefördert. Der Rest der Investitionen sowie im allgemeinen die gesamten Betriebskosten müssen von den kommunalen Gebietskörperschaften getragen werden.

Wen wundert es da, daß die kommunalen Gebietskörperschaften sich lieber eine S-Bahn bauen lassen als drei Regionalstraßenbahnen selbst zu bauen. Hinter vorgehaltener Hand geben manche Kommunalpolitiker durchaus zu, daß drei Straßenbahnstrecken sowohl verkehrspolitisch als auch ökonomisch sinnvoller wären und insgesamt nicht einmal mehr kosten würden als eine S-Bahn-Strecke, aber öffentlich fordern sie dann doch lieber die S-Bahn. Angesichts leerer Kassen im kommunalen Bereich käme es politischem Selbstmord gleich, die sinnvollere Lösung auch tatsächlich zu fordern, wenn sie den Kassen der kommunalen Gebietskörperschaften - zumindest auf den ersten Blick (siehe auch Abschnitt 3.5) - deutlich mehr kosten würde.

Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum Art und Höhe der Finanzierung einer Bahnstrecke von der Betriebsordnung (EBO oder BOStrab), nach der sie verkehrt, abhängen sollte. Es ist hier also dringend für eine Harmonisierung der Rahmenbedingungen zu sorgen. Bei dieser Gelegenheit können und müssen die in den folgenden Abschnitten formulierten Forderungen an eine zielführende Finanzierung des schienengebundenen öffentlichen Personennahverkehrs umgesetzt werden.

 

3.2

Betriebskostenzuschüsse statt Investitionsförderung [12]

   

Die von den kommunalen Gebietskörperschaften betriebenen Bahnen - also Straßenbahnen, U-Bahnen, Stadtbahnen - werden nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) gefördert. Nach dem GVFG werden Investitionen mit einem relativ hohen Fördersatz gefördert, während die Betriebskosten normalerweise in voller Höhe bei den kommunalen Gebietskörperschaften verbleiben.

Dies führt dazu, daß nach dem Motto "Je höher die Investition, desto höher der Zuschuß" extrem teuere Systeme wie U-Bahnen und Stadtbahnen geplant und gebaut werden, die immense Investitionen verschlingen. Dabei steht der immense Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen oder ist sogar kontraproduktiv, da diese System - wie oben ausgeführt - die Nachteile langer, unbequemer, unfreundlicher Zugangswege (Unterführungen, Treppen, etc.) und schlechte Erschließungsqualität mit sich bringen.

Gleichzeitig sparen die Kommunen dann oft an den Betriebskosten, die sie - wie gesagt - selbst tragen müssen, indem sie z.B. abends oder am Wochenende die Fahrpläne ausdünnen (in der Stadt Fürth, die sich als 100.000-Einwohner-Stadt den Luxus einer U-Bahn leistet, verkehren inzwischen einige Stadtbusse abends im Stundentakt - eine Angebotsqualität, die unter dem Niveau einer Stadt wie Lindau liegt, die weniger als halb so groß ist). Es liegt auf der Hand, daß es sowohl volks- als auch betriebswirtschaftlich unsinnig ist, zuerst eine extrem teuere Infrastruktur zu schaffen und sie dann wenig auszulasten, indem auf ihr selbst und/oder auf den Zubringersystemen die Fahrpläne ausgedünnt werden. Zu diesem sowohl volks- als auch betriebswirtschaftlich unsinnigem Verhalten werden die Kommunen verleitet, weil Investitionen hoch bezuschußt werden, während es für die Betriebskosten keinerlei Zuschüsse gibt.

Wesentlich sinnvoller wären statt dessen Zuschüsse zu den Betriebskosten. Diese sollten idealerweise erfolgsabhängig gestaltet werden - z.B. könnte ein bestimmter Zuschuß pro Fahrgast bezahlt werden.

 

3.3

Änderung der standardisierten Bewertung und Zuschußkriterien

   

Bei Umsetzung der im vorangegangenen Abschnitt vorgeschlagenen Lösung, den Kommunen eine Betriebskostenbeihilfe je Fahrgast zu zahlen, können standardisierte Bewertung und zusätzliche Zuschußkriterien unter Umständen ganz entfallen (nicht zuletzt ergibt sich dadurch der Vorteil einer wesentlichen Verfahrensvereinfachung). Nachdem nicht erwartet werden kann, daß dieser relativ radikale Schritt sofort umgesetzt wird, sollen hier einige Kritikpunkte an der standardisierten Bewertung bzw. an den weiteren Zuschußkriterien des GVFG, die der Realisierung von Regionalstraßenbahnen oft im Wege stehen, nicht unerwähnt bleiben:

  • Nach dem momentanen Stand der Dinge werden Straßenbahnen im Mischverkehr mit dem Straßenverkehr nicht bezuschußt. Wie oben ausgeführt, ist es in vielen Fällen durchaus sinnvoll, daß Straßenbahnen im Mischverkehr mit dem Straßenverkehr fahren. Dieses Zuschußkriterium führt dazu, daß statt dessen unsinnige und hohe Investitionen geplant werden, um Mischverkehrsabschnitte zu vermeiden. Daher ist dieses Kriterium kontraproduktiv und sollte so schnell wie möglich beseitigt werden.
  • Die standardisierte Bewertung orientiert sich sowohl bei der Bewertung des Nutzens von ÖV-Maßnahmen als auch bei der empfohlenen Berechnung des Fahrgastzuwachses sehr stark an der reinen Fahrzeit und bevorzugt Schnellbahnsysteme (es gibt sogar einen eigenen Schnellbahn-Faktor). Unberücksichtigt bleiben dabei andere relevante Faktoren - vor allem der Einfluß von langen Zugangswegen (vergl. z.B. [11]). Die Bevorzugung von Schnellbahnen ist angesichts der oben beschriebenen Nachteile nicht nachvollziehbar. Eine Überarbeitung der standardisierten Bewertung scheint aus dieser Sicht dringend geboten.

 

3.4

Anpassung von EBO und BOStrab (Erleichterung des Übergangs BOStrab/EBO und umgekehrt, Erleichterung der Kombination von Regionalstraßenbahn und Güterverkehr)

   

In den relevanten Vorschriften (BOStrab, EBO) gibt es einige Regelungen, welche die Realisierung von Regionalstraßenbahnen zwar nicht verhindern, aber Hemmnisse darstellen. Hinderlich ist insbesondere die starre Trennung zwischen den beiden Regelwerken, die dazu führt, daß die Fahrzeuge beim Übergang BOStrab/EBO und umgekehrt letztlich die Anforderungen beider Vorschriften voll erfüllen müssen - unabhängig davon, ob dies im Einzelfall sinnvoll ist oder nicht. Hier sollte mehr Flexibilität in der Betriebsführung ermöglicht werden. Wie bereits ausgeführt, war der Übergang zwischen den Systemen Eisenbahn, Kleinbahn und Straßenbahn fließend. Dieser fließende Übergang sollte in Abhängigkeit von den jeweiligen Erfordernissen wieder ermöglicht werden.

 

3.5

Vor Ort bereits vorhandene Spielräume nutzen: Regionalstraßenbahnen realisieren statt warten (Beispiele Karlsruhe, Saarbrücken, Kassel)

   

Wie die Beispiele Karlsruhe, Saarbrücken und Kassel zeigen, sind die in den vorangegangenen Abschnitten aufgezeigten Mißstände zwar Hindernisse für die Realisierung von Regionalstraßenbahnen, machen diese aber nicht unmöglich, wenn man nur wirklich will. Die Verantwortlichen vor Ort sind also aufgefordert, die bereits bestehenden Spielräume zu nutzen und Regionalstraßenbahnen zu realisieren statt weiter zu warten.

Durch die folgenden Argumente soll der oben beschriebene Handlungsbedarf von Bund und Ländern nicht relativiert werden, sondern lediglich gezeigt werden, daß bereits heute Spielräume für die Kommunen bestehen:

  • Vollbahnen (S-Bahn, Eisenbahn) sind nur auf den ersten Blick kostenlos für die kommunalen Gebietskörperschaften (vergl. Abschnitt 3.1). Auf den zweiten Blick erfordern die erforderlichen Zubringersysteme hohe Betriebskosten. Dadurch wird die Alternative Regionalstraßenbahn durchaus wieder interessant.
  • Die Gleichung "Je höher die Investition, desto höher der Zuschuß" (vergl. Abschnitt 3.2) ist bei näherem Hinsehen selbst bei der heutigen Gestaltung des GVFG mit einem dicken Fragezeichen zu versehen: Natürlich steigt mit der Höhe der Investition auch der Eigenanteil und da wäre es für manche Kommune an der Zeit, zu überlegen, ob die immensen Summen, die dieser Eigenanteil bei teuren Infrastrukturmaßnahmen ausmacht, nicht anderswo effizienter eingesetzt werden könnten. Außerdem ziehen teure Investitionen auch teure Betriebskosten nach sich - wenn auch oft mit jahrzehntelanger Verzögerung. Man darf gespannt sein, wie die Städte, die seit Jahrzehnten sehr viel Beton (meist im Untergrund) verbaut haben, mit der auf sie zu rollenden Sanierungslawine, die dieser Beton darstellt, fertig werden.
  • Die standardisierte Bewertung (vergl. Abschnitt 3.3) ist bei etwas gutem Willen trotz aller Defizite kein Hindernis, für sinnvolle Projekte Mittel aus dem GVFG zu erhalten. Das zeigen die Beispiele in Karlsruhe, Saarbrücken und Kassel ebenso wie weitere ähnliche Projekte, wo mit Hilfe der standardisierten Bewertung ein positiver Kosten-Nutzen-Faktor errechnet wurde, die allerdings bisher leider nicht realisiert wurden.
  • Die Tatsache, daß Mischverkehrsabschnitte mit dem Straßenverkehr im Moment durch das GVFG leider nicht gefördert werden (vergl. Abschnitt 3.3), spricht nicht unbedingt dafür, diese um jeden Preis zu vermeiden. Abgesehen von den Nachteilen für die Erschließung, lohnt es sich auch dann nicht mehr für die Kommunen, wenn dadurch die Investitionen um ein Vielfaches steigen, weil dann ist der Eigenanteil unter Umständen sehr viel höher als die vollen Kosten für die Mischverkehrslösung.
  • Die in Abschnitt 3.4 genannten Regelungen aus BOStrab und EBO stellen, wie gesagt Hemmnisse dar, verhindern aber weder den Mischverkehr von Straßenbahnen und Güterverkehr noch die Möglichkeit, Regionalstraßenbahnen abschnittsweise nach BOStrab und EBO zu betreiben. Nahezu alle Varianten sind in den genannten Beispielregionen zu finden. Es bedarf oft einer gewissen Findigkeit und eines guten Willens, für diese Problemstellungen Lösungen zu finden, aber sie sind möglich.
 

4

Literatur

[1]   Stadtverkehr 06/00, Seite 43, "Kassel: Lossetalbahn nimmt Gestalt an - Neues Tramdepot in Bettenhausen"
[2]   Stadtverkehr 06/00, Seite 29, "Neue Perspektiven für die Bremen-Thedinghauser Eisenbahn"
[3]   Stadtverkehr 01/00, Seite 46, "Karlsruhe"
[4]   Regionalverkehr 01/00, Seite 10, "Nur fast perfekt ... Die S-Bahn Hannover [...]"
[5]   Verkehr+Technik 06/00, Seite 267, "Lossetalbahn: 1. Bauabschnitt bringt 16 Prozent mehr Fahrgäste"
[6]   Verkehr+Technik 04/99, Seite 155, "Die Entwicklung des regionalen Stadtbahnverkehrs im Großraum Karlsruhe"
[7]   Der Nahverkehr 10/99, Seite 36, "Stadtbahn für Wiesbaden/Mainz"
[8]   Nahverkehrspraxis 05/00, Seite 44, "Straßenbahnnetze wachsen weiter"
[9]   Hermann Knoflacher: "Zur Harmonie von Stadt und Verkehr", Köln 1993
[10]   Heiner und Rita Monheim: "Straßen für Alle"
[11]   Thomas Spiegel: "Die Empfindung des Widerstands von Wegen unterschiedlicher Verkehrsmittelbenutzung und deren Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten", Dissertation, Wien 1992
[12]   Wolf Drechsel und Michael Steinfatt: "Öffentliche Mittel sinnvoll einsetzen: Investitionszuschuß versus Betriebskostenbeihilfe", www.verkehrsplanung.com
[13]   Fairkehr 3/2000, Seite 22, "Im Reich von König Ludwig"

 

Rückfragen: Matthias Striebich, Tel. 09192 / 6799

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