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Statement zur Pressekonferenz zum Thema "Verkehrsdurchführungsvertrag für den Schienenpersonennahverkehr in Bayern"
am 16. April 2002 in München

von Matthias Striebich, Landesvorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Landesverband Bayern

In wesentlichen Punkten teilt der VCD Bayern die Kritik an den bisher bekannt gewordenen Eckpunkten des neuen Verkehrsdurchführungsvertrags für den Schienenpersonennahverkehr in Bayern zwischen dem Freistaat Bayern und der DB AG.

Im folgenden gehen wir auf die aus Sicht des VCD entscheidenden Punkte kurz ein:

  • Notwendig ist aus Sicht des VCD Bayern eine erhebliche Ausweitung des Verkehrsangebots im Schienenpersonennahverkehr.

    In dem Bündnis für ein "Modernes Bayern-Netz für Bahn und Bus" fordert der VCD Bayern gemeinsam mit Bund Naturschutz, Pro Bahn und über 70 weiteren Unterstützerorganisationen als Mindestangebot den Stundentakt auf allen Strecken im Freistaat Bayern sowie die Reaktivierung von regionalen Bahnstrecken. Im Umkreis größerer Städte ist eine zusätzliche Taktverdichtung notwendig.

    Für dieses Konzept eines attraktiven, flächendeckenden Schienenverkehrs in Bayern ist eine deutliche Steigerung der Verkehrsleistung notwendig und kein Beharren auf dem Status Quo.

  • Der geplante Verkehrsdurchführungsvertrag bedeutet weitgehend Stillstand bei der Ausweitung des Schienenpersonennahverkehrs.

    Nach allem, was bisher bekannt ist, schreibt der geplante Verkehrsdurchführungsvertrag die Ist-Situation mehr oder weniger für die nächsten  Jahre fest. Verbesserungen wie Taktverdichtungen oder die Reaktivierung von Bahnstrecken sind damit kaum möglich. Diese sind von der Staatsregierung erklärtermaßen nicht gewollt, wären aber dringend notwendig.

    Zusätzliche Verkehrsleistungen für Streckenreaktivierungen, Taktverdichtungen oder zusätzliche Züge sind nicht vorgesehen. Die Staatsregierung hat daher in den letzten Jahren Verbesserungen an der einen Stelle immer mit Verschlechterungen an anderer Stelle aufgewogen. Offensichtlich soll diese Praxis fortgesetzt werden. Dieses Nullsummenspiel kann nicht Sinn der Sache sein, denn so tritt der Schienenpersonennahverkehr insgesamt auf der Stelle.

  • Positive Beispiele aus anderen Bundesländern werden von der bayerischen Staatsregierung ignoriert.

    Die positiven und sehr erfolgreichen Beispiele aus anderen Bundesländern müssen endlich auch in Bayern nachgeahmt werden. Bisher ignoriert die bayerische Staatsregierung diese positiven Beispiele aus anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Dort wurden und werden sehr erfolgreich Strecken reaktiviert und Teilnetze an kleine bis mittlere Unternehmen vergeben. Die Aufzählung zeigt, daß solche Lösungen von politisch ganz unterschiedlichen Regierungen praktiziert werden, nur eben in Bayern nicht.

    Gerade auf Regionalstrecken können kleinere Betriebe wesentlich effizienter und kundennäher operieren. Dies wird in den genannten Beispielen sehr erfolgreich praktiziert. Selbst die DB AG hat vor einigen Jahren mit ihrer "Mittelstandsoffensive" diesen Ansatz ins Gespräch gebracht. Wenn diese "Offensive" nicht doch letztendlich den Hintersinn hatte, die beschriebenen Teilnetze stillzulegen, war der Ansatz, daß mittelständische, regionale Unternehmen effizienter, kundennäher und damit erfolgreicher operieren können, durchaus richtig.

    Die bayerische Staatsregierung hat aus diesen positiven Beispielen offensichtlich wenig gelernt. Weder die notwendige Reaktivierung von Strecken noch die Vergabe von Teilnetzen an mittelständische Unternehmen ist für die Staatsregierung trotz der positiven Erfahrungen in anderen Bundesländern ein Thema. Als Gegenbeispiel klammert man sich an die eigenen schlechten Erfahrungen mit der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) in der Anfangszeit, an deren Misere die Staatsregierung durchaus nicht ganz unschuldig war, und übersieht dabei, daß die BOB inzwischen gut bis sehr gut funktioniert.

  • Teilnetze an kleine bis mittlere Unternehmen vergeben.

    Wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, können kleine bis mittlere regionale Anbieter Teilnetze wesentlich kundennäher und effizienter bedienen. Das können unter Umständen auch einmal Tochterunternehmen größerer Unternehmen sein. Ich bin persönlich nicht der Meinung, daß Konkurrenz allein schon Probleme löst, aber wenn man sich die positiven Beispiele der letzten Jahre ansieht, stellt man fest, daß bei nahezu allen positiven Beispielen nicht die DB AG der Betreiber ist. Oft kann bei privaten Unternehmen für das gleiche Geld ein wesentlich besseres Angebot mit höherer Qualität erreicht werden. Dies zeigt, daß es durchaus Sinn macht, Teilnetze an private Unternehmen zu vergeben. Es ist deswegen ein Fehler, dies durch einen Verkehrsdurchführungsvertrag auf Jahre hinaus zu unterbinden.

    Ich bin persönlich auch nicht für eine strikte Trennung von Infrastruktur und Betrieb, da ich als Bahnfachmann weiß, wie eng beides miteinander verzahnt ist. Das spricht aber nicht dagegen, regionale Teilnetze - unter der Wahrung der Einheit von Infrastruktur und Betrieb - zu bilden.

    Das darf natürlich nicht dazu führen, daß der Fahrgast ständig umsteigen muß, wie zum Beispiel in Oberfranken auf der Strecke Hof-Regensburg. Vorbild könnten die Schweizer Bahnen sein: Dort gibt es auch Dutzende von regionalen Bahnen, kantonalen Bahnen, etc., aber der Fahrgast merkt davon meist nichts, denn Fahrpläne, Fahrkarten und Zugläufe sind über die Grenzen der Bahnen hinweg abgestimmt.

  • Anreize für die Gewinnung von Fahrgästen müssen geschaffen werden.

    Der geplante Verkehrsdurchführungsvertrag ist so angelegt, daß die DB AG als Erbringer der Leistung bezahlt wird - unabhängig davon, ob viel oder wenig Fahrgäste befördert werden. Notwendig wäre ein Abrechnungsmodus, der dem Erbringer der Leistung einen Anreiz dafür bietet, zusätzliche Fahrgäste durch Marketing, zusätzliche Leistungen, etc. zu gewinnen.

    Außerdem werden bei der bisherigen Kalkulation die Regionen über einen Kamm geschert. Ein Zug im Ballungsraum wird genauso teuer berechnet wie ein Zug auf dem flachen Land. Die Züge in den Ballungsräumen tragen sich zum Teil (fast) selbst, während die Voraussetzungen auf dem flachen Land oft wesentlich ungünstiger sind. D.h. die DB AG bekommt für die Strecken im Ballungsraum, die sich ohnehin fast tragen, zusätzlich noch erhebliche Mittel dazu, verdient an diesen also unverhältnismäßig viel, während sie an den Strecken auf dem flachen Land weiterhin kaum ein Interesse hat.

    Dies könnte ebenfalls durch ein differenzierteres Abrechnungssystem, das sowohl die unterschiedlichen Voraussetzungen der einzelnen Strecken als auch den Erfolg (Gewinnung von Fahrgästen) berücksichtigt, verbessert werden.

  • Die Laufzeit des geplanten Vertrags ist unverhältnismäßig lang.

    Die Laufzeit des Vertrags ist mit 10 Jahren unverhältnismäßig lang.

    Dies führt zum einen zu einer hohen Unflexibilität. Verbesserungen können nur unter erschwerten Bedingungen realisiert werden. Es bleibt auch weiterhin schwierig, Teilnetze aus dem Gesamtpaket heraus zu lösen, was durchaus in einigen Fällen sinnvoll wäre (selbst die DB AG hat ja mit ihrer "Mittelstandsoffensive" diesen Ansatz bereits einmal angedacht). Es wird sehr schwierig bis unmöglich sein, mögliche Synergien bei der Erbringung zusätzlicher Leistungen zu nutzen.

    Zum anderen ist eine derartig lange Laufzeit bei einem Vertrag mit der DB AG unnötig. Die Verhältnisse sind grundsätzlich anders als bei einem kleinen oder mittleren Bahnbetrieb, der eine einzelne Strecke oder ein Teilnetz übernimmt. Ein kleiner oder mittlerer Bahnbetrieb hat für eine Strecke oder ein Teilnetz eine - gemessen an der Größe des Betriebs - erhebliche Investition getätigt und daher ein existentielles Interesse bzw. die begründete Notwendigkeit für eine Vertragslaufzeit von mindestens fünf Jahren. Bei der DB AG gibt es ein derartiges existentielles Interesse an einer langen Laufzeit nicht, da schon aufgrund des Umfangs der Verkehrsleistung nur kleinere Teilnetze heraus gelöst werden könnten - die für die DB AG keinesfalls eine existentielle Bedrohung, sondern schlimmstenfalls ein kleines Ärgernis darstellen würden. Die bayerische Staatsregierung schützt somit durch die lange Vertragslaufzeit einseitig den Monopolisten DB AG vor unliebsamer (aber keineswegs bedrohlicher) Konkurrenz.

  • Die Kalkulation in Euro/Zugkilometer ist unflexibel und spiegelt nicht die wahre Kostensituation wieder.

    Durch die Kalkulation in Euro/Zugkilometer wird suggeriert, ein Zugkilometer wäre immer gleich teuer. Dem ist aber nicht so: Ein zusätzlicher Zugkilometer während der Spitzenverkehrszeit kostet wegen der anfallenden Sprungkosten (zusätzliche Fahrzeuge) meist ein vielfaches eines Zugkilometers in der Nebenverkehrszeit, wo er praktisch zu Grenzkosten erbracht werden kann. Durch diese Kalkulation werden zusätzliche Leistungen in der Nebenverkehrszeit - zum Beispiel für zusätzliche Züge abends oder am Wochenende - unverhältnismäßig teuer.

  • Das Trassenpreissystem der Bahn stellt eine Quersubventionierung vom Nahverkehr zum Fernverkehr dar.

    Heute zahlt ein mehrere Hundert Tonnen schwerer ICE, der mit 280 km/h über eine Neubaustrecke mit sehr, sehr teurer Infrastruktur donnert, kaum doppelt soviel an Trassenpreis wie ein 60 Tonnen schwerer Dieselleichttriebwagen, der mit 60 km/h über eine Nebenstrecke fährt, die kaum Kunstbauwerke aufweist. Wenn man berücksichtigt, daß die Instandhaltungskosten proportional zu Geschwindigkeit und Masse eines Zuges sind, ist dies offensichtlich ein Mißverhältnis. Damit werden via Trassenpreissystem der DB AG offensichtlich Gelder vom bezuschußten Nahverkehr zu dem teuren Prestigeobjekt Höchstgeschwindigkeitsverkehr, der angeblich eigenwirtschaftlich ist, umgeleitet. Die DB AG will diese Ungerechtigkeit jetzt sogar noch per "Regionalfaktor" verschärfen. Bei den Verhandlungen zum Verkehrsdurchführungsvertrag sollte der Freistaat Bayern im eigenen Interesse auf eine Beendigung dieses Ungleichgewichts drängen.

Matthias Striebich, VCD-Landesvorsitzender, 15.04.2002

Kontakt und Rückfragen: Matthias Striebich oder an das Landesbüro

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