In wesentlichen Punkten teilt der VCD Bayern die Kritik an
den bisher bekannt gewordenen Eckpunkten des neuen
Verkehrsdurchführungsvertrags für den
Schienenpersonennahverkehr in Bayern zwischen dem Freistaat
Bayern und der DB AG.
Im folgenden gehen wir auf die aus Sicht des VCD
entscheidenden Punkte kurz ein:
Notwendig ist aus Sicht des VCD Bayern eine erhebliche
Ausweitung des Verkehrsangebots im
Schienenpersonennahverkehr.
In dem Bündnis für ein "Modernes Bayern-Netz für Bahn und
Bus" fordert der VCD Bayern gemeinsam mit Bund
Naturschutz, Pro Bahn und über 70 weiteren
Unterstützerorganisationen als Mindestangebot den
Stundentakt auf allen Strecken im Freistaat Bayern sowie
die Reaktivierung von regionalen Bahnstrecken. Im Umkreis
größerer Städte ist eine zusätzliche Taktverdichtung
notwendig.
Für dieses Konzept eines attraktiven, flächendeckenden
Schienenverkehrs in Bayern ist eine deutliche Steigerung
der Verkehrsleistung notwendig und kein Beharren auf dem
Status Quo.
Der geplante Verkehrsdurchführungsvertrag bedeutet
weitgehend Stillstand bei der Ausweitung des
Schienenpersonennahverkehrs.
Nach allem, was bisher bekannt ist, schreibt der geplante
Verkehrsdurchführungsvertrag die Ist-Situation mehr oder
weniger für die nächsten Jahre fest. Verbesserungen
wie Taktverdichtungen oder die Reaktivierung von
Bahnstrecken sind damit kaum möglich. Diese sind von der
Staatsregierung erklärtermaßen nicht gewollt, wären aber
dringend notwendig.
Zusätzliche Verkehrsleistungen für
Streckenreaktivierungen, Taktverdichtungen oder
zusätzliche Züge sind nicht vorgesehen. Die
Staatsregierung hat daher in den letzten Jahren
Verbesserungen an der einen Stelle immer mit
Verschlechterungen an anderer Stelle aufgewogen.
Offensichtlich soll diese Praxis fortgesetzt werden.
Dieses Nullsummenspiel kann nicht Sinn der Sache sein,
denn so tritt der Schienenpersonennahverkehr insgesamt
auf der Stelle.
Positive Beispiele aus anderen Bundesländern werden von
der bayerischen Staatsregierung ignoriert.
Die positiven und sehr erfolgreichen Beispiele aus
anderen Bundesländern müssen endlich auch in Bayern
nachgeahmt werden. Bisher ignoriert die bayerische
Staatsregierung diese positiven Beispiele aus anderen
Bundesländern wie Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz,
Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Dort wurden
und werden sehr erfolgreich Strecken reaktiviert und
Teilnetze an kleine bis mittlere Unternehmen vergeben.
Die Aufzählung zeigt, daß solche Lösungen von politisch
ganz unterschiedlichen Regierungen praktiziert werden,
nur eben in Bayern nicht.
Gerade auf Regionalstrecken können kleinere Betriebe
wesentlich effizienter und kundennäher operieren. Dies
wird in den genannten Beispielen sehr erfolgreich
praktiziert. Selbst die DB AG hat vor einigen Jahren mit
ihrer "Mittelstandsoffensive" diesen Ansatz ins Gespräch
gebracht. Wenn diese "Offensive" nicht doch letztendlich
den Hintersinn hatte, die beschriebenen Teilnetze
stillzulegen, war der Ansatz, daß mittelständische,
regionale Unternehmen effizienter, kundennäher und damit
erfolgreicher operieren können, durchaus richtig.
Die bayerische Staatsregierung hat aus diesen positiven
Beispielen offensichtlich wenig gelernt. Weder die
notwendige Reaktivierung von Strecken noch die Vergabe
von Teilnetzen an mittelständische Unternehmen ist für
die Staatsregierung trotz der positiven Erfahrungen in
anderen Bundesländern ein Thema. Als Gegenbeispiel
klammert man sich an die eigenen schlechten Erfahrungen
mit der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) in der
Anfangszeit, an deren Misere die Staatsregierung durchaus
nicht ganz unschuldig war, und übersieht dabei, daß die
BOB inzwischen gut bis sehr gut funktioniert.
Teilnetze an kleine bis mittlere Unternehmen vergeben.
Wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, können
kleine bis mittlere regionale Anbieter Teilnetze
wesentlich kundennäher und effizienter bedienen. Das
können unter Umständen auch einmal Tochterunternehmen
größerer Unternehmen sein. Ich bin persönlich nicht der
Meinung, daß Konkurrenz allein schon Probleme löst, aber
wenn man sich die positiven Beispiele der letzten Jahre
ansieht, stellt man fest, daß bei nahezu allen positiven
Beispielen nicht die DB AG der Betreiber ist. Oft kann
bei privaten Unternehmen für das gleiche Geld ein
wesentlich besseres Angebot mit höherer Qualität erreicht
werden. Dies zeigt, daß es durchaus Sinn macht, Teilnetze
an private Unternehmen zu vergeben. Es ist deswegen ein
Fehler, dies durch einen Verkehrsdurchführungsvertrag auf
Jahre hinaus zu unterbinden.
Ich bin persönlich auch nicht für eine strikte Trennung
von Infrastruktur und Betrieb, da ich als Bahnfachmann
weiß, wie eng beides miteinander verzahnt ist. Das
spricht aber nicht dagegen, regionale Teilnetze - unter
der Wahrung der Einheit von Infrastruktur und Betrieb -
zu bilden.
Das darf natürlich nicht dazu führen, daß der Fahrgast
ständig umsteigen muß, wie zum Beispiel in Oberfranken
auf der Strecke Hof-Regensburg. Vorbild könnten die
Schweizer Bahnen sein: Dort gibt es auch Dutzende von
regionalen Bahnen, kantonalen Bahnen, etc., aber der
Fahrgast merkt davon meist nichts, denn Fahrpläne,
Fahrkarten und Zugläufe sind über die Grenzen der Bahnen
hinweg abgestimmt.
Anreize für die Gewinnung von Fahrgästen müssen
geschaffen werden.
Der geplante Verkehrsdurchführungsvertrag ist so
angelegt, daß die DB AG als Erbringer der Leistung
bezahlt wird - unabhängig davon, ob viel oder wenig
Fahrgäste befördert werden. Notwendig wäre ein
Abrechnungsmodus, der dem Erbringer der Leistung einen
Anreiz dafür bietet, zusätzliche Fahrgäste durch
Marketing, zusätzliche Leistungen, etc. zu gewinnen.
Außerdem werden bei der bisherigen Kalkulation die
Regionen über einen Kamm geschert. Ein Zug im
Ballungsraum wird genauso teuer berechnet wie ein Zug auf
dem flachen Land. Die Züge in den Ballungsräumen tragen
sich zum Teil (fast) selbst, während die Voraussetzungen
auf dem flachen Land oft wesentlich ungünstiger sind.
D.h. die DB AG bekommt für die Strecken im Ballungsraum,
die sich ohnehin fast tragen, zusätzlich noch erhebliche
Mittel dazu, verdient an diesen also unverhältnismäßig
viel, während sie an den Strecken auf dem flachen Land
weiterhin kaum ein Interesse hat.
Dies könnte ebenfalls durch ein differenzierteres
Abrechnungssystem, das sowohl die unterschiedlichen
Voraussetzungen der einzelnen Strecken als auch den
Erfolg (Gewinnung von Fahrgästen) berücksichtigt,
verbessert werden.
Die Laufzeit des geplanten Vertrags ist
unverhältnismäßig lang.
Die Laufzeit des Vertrags ist mit 10 Jahren
unverhältnismäßig lang.
Dies führt zum einen zu einer hohen Unflexibilität.
Verbesserungen können nur unter erschwerten Bedingungen
realisiert werden. Es bleibt auch weiterhin schwierig,
Teilnetze aus dem Gesamtpaket heraus zu lösen, was
durchaus in einigen Fällen sinnvoll wäre (selbst die DB
AG hat ja mit ihrer "Mittelstandsoffensive" diesen Ansatz
bereits einmal angedacht). Es wird sehr schwierig bis
unmöglich sein, mögliche Synergien bei der Erbringung
zusätzlicher Leistungen zu nutzen.
Zum anderen ist eine derartig lange Laufzeit bei einem
Vertrag mit der DB AG unnötig. Die Verhältnisse sind
grundsätzlich anders als bei einem kleinen oder mittleren
Bahnbetrieb, der eine einzelne Strecke oder ein Teilnetz
übernimmt. Ein kleiner oder mittlerer Bahnbetrieb hat für
eine Strecke oder ein Teilnetz eine - gemessen an der
Größe des Betriebs - erhebliche Investition getätigt und
daher ein existentielles Interesse bzw. die begründete
Notwendigkeit für eine Vertragslaufzeit von mindestens
fünf Jahren. Bei der DB AG gibt es ein derartiges
existentielles Interesse an einer langen Laufzeit nicht,
da schon aufgrund des Umfangs der Verkehrsleistung nur
kleinere Teilnetze heraus gelöst werden könnten - die für
die DB AG keinesfalls eine existentielle Bedrohung,
sondern schlimmstenfalls ein kleines Ärgernis darstellen
würden. Die bayerische Staatsregierung schützt somit
durch die lange Vertragslaufzeit einseitig den
Monopolisten DB AG vor unliebsamer (aber keineswegs
bedrohlicher) Konkurrenz.
Die Kalkulation in Euro/Zugkilometer ist unflexibel und
spiegelt nicht die wahre Kostensituation wieder.
Durch die Kalkulation in Euro/Zugkilometer wird
suggeriert, ein Zugkilometer wäre immer gleich teuer. Dem
ist aber nicht so: Ein zusätzlicher Zugkilometer während
der Spitzenverkehrszeit kostet wegen der anfallenden
Sprungkosten (zusätzliche Fahrzeuge) meist ein vielfaches
eines Zugkilometers in der Nebenverkehrszeit, wo er
praktisch zu Grenzkosten erbracht werden kann. Durch
diese Kalkulation werden zusätzliche Leistungen in der
Nebenverkehrszeit - zum Beispiel für zusätzliche Züge
abends oder am Wochenende - unverhältnismäßig teuer.
Das Trassenpreissystem der Bahn stellt eine
Quersubventionierung vom Nahverkehr zum Fernverkehr dar.
Heute zahlt ein mehrere Hundert Tonnen schwerer ICE, der
mit 280 km/h über eine Neubaustrecke mit sehr, sehr
teurer Infrastruktur donnert, kaum doppelt soviel an
Trassenpreis wie ein 60 Tonnen schwerer
Dieselleichttriebwagen, der mit 60 km/h über eine
Nebenstrecke fährt, die kaum Kunstbauwerke aufweist. Wenn
man berücksichtigt, daß die Instandhaltungskosten
proportional zu Geschwindigkeit und Masse eines Zuges
sind, ist dies offensichtlich ein Mißverhältnis. Damit
werden via Trassenpreissystem der DB AG offensichtlich
Gelder vom bezuschußten Nahverkehr zu dem teuren
Prestigeobjekt Höchstgeschwindigkeitsverkehr, der
angeblich eigenwirtschaftlich ist, umgeleitet. Die DB AG
will diese Ungerechtigkeit jetzt sogar noch per
"Regionalfaktor" verschärfen. Bei den Verhandlungen zum
Verkehrsdurchführungsvertrag sollte der Freistaat Bayern
im eigenen Interesse auf eine Beendigung dieses
Ungleichgewichts drängen.