Podiumsdiskussion
"Das (drohende) Ende des Interregio und die Zukunft des Schienenpersonenfernverkehrs in Ostbayern"
am 06. Februar 2001 in Regensburg
Statement von Matthias Striebich, Landesvorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Landesverband Bayern
Vorbemerkung: Vorstellung des Verkehrsclub Deutschland (VCD)
Der VCD ist ein Verkehrsclub für Umweltbewußte und hat sich das Motto "Wir gehen neue Wege" auf die Fahnen geschrieben. Er versteht sich als Interessenvertretung für alle umweltbewußten Verkehrsteilnehmer, d.h. vor allem für Fußgänger und Radfahrer mit besonderem Augenmerk auf die schwächsten - Kinder, alte Leute - und die Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel (Bahnen und Busse). Zum Klientel des VCD gehören auch umweltbewußte Autofahrer, die aufgrund heute noch fehlender Alternativen oft gezwungen sind, mit dem Auto zu fahren. Für diese bietet der VCD Serviceangebote und setzt sich politisch dafür ein, daß der Zwang zum Autofahren durch Schaffung von Alternativen immer weiter reduziert wird. Nicht zuletzt versteht sich der VCD als Umweltverband, der sich für eine umwelt- und sozialverträgliche Verkehrspolitik einsetzt.
Der Interregio ist eines der erfolgreichsten Produkte der Bahngeschichte in Deutschland und muß unbedingt erhalten bleiben
Seit seiner Einführung war der Interregio sehr beliebt bei den Fahrgästen und auch wirtschaftlich durchaus erfolgreich. Im Durchschnitt waren Auslastung und Kostendeckung vergleichbar mit IC und ICE.
Von den Fahrgästen wurde der Interregio als sehr großer Fortschritt gesehen. Ergebnis einer offiziellen Umfrage: 90 % der Fahrgäste finden den Interregio "gut bis sehr gut" [3]. Dabei waren vor allem folgende Eckpunkte des Interregio-Konzepts maßgebend:
- Endlich wurde auch für die Regionen abseits und zwischen den IC- und späteren ICE-Bahnhöfen ein regelmäßiges Fernverkehrsangebot mit einem am Anfang auf fast allen Linien durchgehenden 2-Stunden-Takt geschaffen.
- Für den Interregio wurde mit den modernisierten Wagen und der einheitlichen Farbgebung von Anfang an durchgehend ein sehr ansprechendes Marketingkonzept verfolgt.
- Das Bistro war das für die Reisenden im Interregio maßgeschneiderte Angebot für die Reiseverpflegung. Endlich konnte man auch bei Bahnfahrten ohne IC und ICE einmal im Zug frühstücken, einen Kaffe oder ein Bier trinken oder einen kleinen Imbiß zu sich nehmen.
- Der Interregio kostet keinen Zuschlag (am Anfang nur bei Fahrten über 50 Kilometer, später allgemein).
Dieses erfolgreiche Konzept wurde und wird von der DB immer weiter aufgeweicht:
- Durch die Streichung einzelner, weniger ausgelasteter IR-Züge wurde das Prinzip des Taktverkehrs verlassen. Damit wurde ein Eckpunkt des Erfolgskonzepts - der Taktverkehr - aufgegeben, obwohl sich sowohl im Nahverkehr als auch im Fernverkehr (sowohl beim IC/ICE als auch beim IR am Anfang) gezeigt hat, daß der Taktverkehr das "A und O" für ein erfolgreiches Bahnkonzept darstellt. Die DB AG hat damit einen gefährlichen Schrumpfprozeß eingeleitet, der vergleichbar mit dem Vorgehen ist, das jahrzehntelang bei den Nebenbahnen praktiziert wurde: Streichung einzelner Züge führt zu Abnahme des Fahrgastaufkommens und damit zu schlechterer Auslastung weiterer Züge, die dann ebenfalls gestrichen werden, und so weiter.
- In immer mehr IR-Zügen wurde und wird das Bistro gestrichen und damit ein wichtiges Qualitätsmerkmal beseitigt.
- Das Wagenmaterial kommt langsam in die Jahre und der IR verliert das Image als moderner Zug immer mehr, weil das Wagenmaterial zum Teil nicht auf einem angemessenen Qualitätsstandard gehalten wird. Teilweise werden die IRs sogar aus irgendwelchen bunt zusammen gewürfelten Wagen gebildet.
- Die Laufwege der Interregios wurden immer weiter gekürzt und damit zusätzliche Umsteigezwänge geschaffen.
Die genannten Verschlechterungen des IR-Angebots haben zu einer immer weiter fortschreitenden Verschlechterung der Wirtschaftlichkeit geführt. Ein Schrumpfprozess wurde in Gang gesetzt. So steht mittlerweile mehr oder weniger das gesamte IR-Angebot auf dem Spiel.
Gründe für den Erhalt der Interregios:
- Aus Sicht der Fahrgäste: Die genannten Vorteile Taktverkehr, Bistro, moderne Wagen und durchgehende, umsteigefreie Fernverkehrsverbindungen auch zwischen und abseits der IC- und ICE-Bahnhöfe müssen aus Fahrgastsicht unbedingt erhalten bleiben.
- Aus der Sicht der Regionen: Die Regionen zwischen und abseits der IC- und ICE-Bahnhöfe dürfen nicht von dem Fernverkehrsangebot abgehängt werden.
- Aus der Sicht der Umwelt und der Menschen an den betroffenen Strecken: Um eine weitere Zunahme des Autoverkehrs und damit eine Zunahme der Belastung mit Abgasen, Lärm usw. zu vermeiden, muß das IR-Netz erhalten bleiben und weiter ausgebaut werden.
- Aus der Sicht der Politik auf allen Ebenen: Politik darf die o.g. Interessen der Fahrgäste und betroffenen Menschen nicht außer Acht lassen. Sie muß deswegen ein Interesse am Erhalt der IRs haben, das sich jedoch nicht in reinen Lippenbekenntnissen und Schuldzuweisungen an die jeweils andere Ebene erschöpfen darf. Die Politik ist aufgefordert, aktiv nach Lösungen zu suchen. Daneben gibt es auch ein finanzpolitisches Interesse z.B. bei den Ländern, denn würden die IRs tatsächlich gestrichen, müßten sie zumindest teilweise für Ersatz durch RE-Züge sorgen und diese bestellen - das käme erheblich teurer als das vergleichsweise geringe Defizit der IR-Züge.
- Aus der Sicht der DB AG bzw. der Bahn als Gesamtsystem: Die DB AG muß (oder müßte) ein sehr starkes Eigeninteresse am Erhalt der Interregios haben. Auch die ICs und die Steckenpferde von DB AG und Politik - die ICEs - benötigen nämlich die Zubringerfunktion eines attraktiven IR-Netzs. Sonst wird in wenigen Jahren die Diskussion darüber losgehen, daß schlecht ausgelastete ICs und ICEs gestrichen werden sollen.
Ein Kardinalfehler der Bahnreform: Das Diktum der Eigenwirtschaftlichkeit beim Schienenpersonenfernverkehr
Dieses Thema ist sehr umfassend und ich kann hier nur auf Stichpunkte eingehen. Es war einer der Kapitalfehler der Bahnreform, den Güterverkehr und den Fernverkehr als per se eigenwirtschaftlich anzusehen und damit vollständig seinem Schicksal zu überlassen - zumal die politischen Rahmenbedingungen weiter sehr ungünstig für die Bahn geblieben sind.
- Wie oben dargestellt, liegt es sehr wohl im Interesse des Gemeinwohls an einem attraktiven IR-Verkehr: Anbindung der betroffenen Regionen sowie Reduzierung der mit dem wachsenden Autoverkehr einher gehenden Belastungen von Mensch und Umwelt.
- Unter den vorherrschenden Rahmenbedingungen kann ein Großteil des Schienenpersonenfernverkehrs überhaupt nicht eigenwirtschaftlich erbracht werden.
Das trifft nicht nur auf den IR-Verkehr, sondern auf nahezu den gesamten Fernverkehr auf der Schiene zu. Das wird - außer beim IR - immer noch sehr stark verschleiert. Im Moment findet über die Trassenpreise eine versteckte Verschiebung von Finanzen vom Nahverkehr und auch von den IR-Zügen hin zum schnellen ICE-Verkehr statt. Sonst würde die Lebenslüge vom angeblich hochprofitablen ICE-Verkehr sehr schnell zusammenfallen wie ein Kartenhaus.
Es ist einfach nicht nachzuvollziehen, daß ein ICE mit dreizehn Wagen, der mit Tempo 280 über eine Neubaustrecke mit sehr vielen Kunstbauwerken (dort reihen sich die Tunnel und Brücken ja im steten Wechsel aneinander) rast, und dabei natürlich entsprechende Kosten (Instandhaltung) am Fahrweg verursacht, kaum mehr als das doppelte an Trassenpreis bezahlen muß wie ein einzelner Dieselleichttriebwagen, der weniger als ein Zehntel des ICEs wiegt und mit 80 über eine Nebenstrecke (fast) ohne Kunstbauwerke zuckelt.
Oder um beim IR zu bleiben: Der IR, der über eine alte Strecke, an der in den letzten Jahren kaum noch Instandhaltung betrieben wurde, mit 120 fährt (die Kosten für die Instandhaltung steigen überproportional mit der Geschwindigkeit!), zahlt dafür kaum ein Fünftel weniger als der genannte ICE-Zug. Ohne diese Ungleichbehandlung bliebe dem IR vermutlich kaum ein Defizit.
Forderungen
Damit ergeben sich aus Sicht des VCD folgende Forderungen:
- Das Konzept der Interregios muß mit seinen wesentlichen Bestandteilen erhalten bleiben - die wesentlichen Bestandteile sind:
- Taktverkehr.
- Anbindung der Regionen zwischen und abseits der ICE- und IC-Halte. Das IR-Netz darf nicht ausgedünnt werden. Von besonderem Interesse sind Tourimusgebiete.
- Modernes Wagenmaterial mit Bistro.
- Lange Zugläufe, welche die Anzahl der notwendigen Umsteigevorgänge reduzieren.
Wir fordern Bundesregierung, bayerische Staatsregierung und DB AG auf, ihren Streit um die Finanzierung der Interregios, den sie auf dem Rücken der betroffenen Fahrgäste und Regionen austragen, sofort zu beenden.
Die fehlenden Summen, um die es geht, sind vergleichsweise niedrig. Für weit weniger sinnvolle Dinge (z.B. Planung Transrapid, Defizit Metropolitan) wurden von allen drei Ebenen schon erheblich mehr Mittel ausgegeben.
- DB AG: Wie bereits dargestellt, braucht die DB AG die Interregios als Zubringer für ihre anderen Fernverkehrszüge. Sie sollte dieses erfolgreiche Konzept daher nicht mutwillig zerstören und sich mit Bund und Land auf eine Fortführung des IR-Konzepts einigen.
- Bund: Der Bund sollte nicht so tun, als ginge ihn das alles nichts an (leider glänzt die Bundesebene auch bei dieser Veranstaltung durch Abwesenheit), weil ja Fernverkehr eigenwirtschaftlich sei und der Nahverkehr Ländersache. Dem ist nicht so. Die Bundesebene trägt sehr wohl eine Verantwortung für die Fehler der Bahnreform, welche die Misere der IRs mit verursacht haben. Das trifft übrigens auf fast alle Parteien auf Bundesebene zu, da fast alle die Bahnreform mit getragen haben.
- Freistaat Bayern: Der Freistaat sollte im Interesse seiner Bürgerinnen und Bürger, aber auch im eigenen Interesse eine Lösung der Finanzierung der Interregios nicht blockieren, da der Ersatz durch RE-Züge für ihn noch wesentlich teurer käme. Prinzipienreiterei ("IRs sind Fernverkehr und damit haben wir nichts zu tun") auf dem Rücken der Fahrgäste und Regionen hilft hier nicht weiter.
- Sollte die DB AG weiterhin nicht willens oder nicht in der Lage sein, ein vernünftiges IR-Angebot aufrecht zu erhalten, befürworten wir Versuche, dies mit Hilfe von Wettbewerbern der DB AG zu erreichen. Dazu wird Felix Berschin von der Nahverkehrsberatung Südwest ja sicher etwas ausführen.
- Mittelfristig ist das IR-Angebot auszuweiten und ebenso wie der Nahverkehr und der übrige Fernverkehr in das Konzept eines Integralen Taktfahrplans (ITF) zu integrieren.
Forderungen für Schienenpersonenfernverkehr in Ostbayern
- Die oben beschriebenen Forderungen, das IR-Konzept generell beizubehalten, schließen selbstverständlich die Forderung ein, IR-Linie 25 in ihrem ursprünglichen Umfang beizubehalten und sie in Richtung Norden über Hof hinaus zu verlängern (in Richtung Leipzig/Berlin und/oder Dresden - eventuell alternierend mit den Zügen aus Karlsruhe-Stuttgart-Nürnberg, die von Hof aus ebenfalls abwechslungsweise in Richtung Dresden und Leipzig weiter geführt werden könnten).
- Die von der Stadt Regensburg vorgeschlagene Alternative, auf der Relation München-Berlin stündlich alternierend über Nürnberg - Jena und über Regensburg - Hof mit Neigetechnik attraktive Fernverkehrsverbindungen zu schaffen, begrüßen wir grundsätzlich. Wir sehen dies allerdings eher als ein zusätzliches Angebot zur IR-Linie 25, da die Anzahl der Halte bei den Zügen München-Berlin doch deutlich kleiner als bei den IRs sein wird.
- Darüber hinaus fordern wir den Erhalt und Ausbau des Schienenpersonenfernverkehrs in Richtung Tschechien, d.h. die Linien Nürnberg-Cheb-Prag und München-Schwandorf-Prag müssen nicht nur erhalten bleiben, sondern auf ein regelmäßiges Angebot (mindestens Zwei-Stunden-Takt) ausgeweitet werden.
- Natürlich soll aus unserer Sicht die EC/ICE-Verbindung Nürnberg - Regensburg - Passau - Linz beibehalten werden. Nach neuesten Information ist auch seitens der DB AG keine Abschaffung dieser Verbindung geplant.
Matthias Striebich, 06.02.2001
Anhang: Literatur, Links
Rückfragen: Matthias Striebich oder an das Landesbüro
|