München, 18. Juli 2000
"Tempo-30-Zonen ausweiten!"
Verkehrsclub führt Gefahren durch schnelles Autofahren anschaulich vor
Viel zu kurz schätzten die meisten Passanten die Brems-und Anhaltewege eines Autos, als der Verkehrsclub Deutschland (VCD) zum Auftakt einer bayernweiten Tempo-30-Kampagne am Montag auf dem Münchner Marienplatz zum Quiz einlud. Die Ergebnisse bestätigen die Forderungen, die der VCD nun an die bayerische Staatsregierung richtet.
Mehr als die Hälfte der gut zwei Dutzend Teilnehmer konnten den Anhalteweg für Tempo 30 -nämlich 13,3 Meter- richtig abmarkieren, doch der Anhalteweg von 27,7 Metern für Tempo 50 schien fast unvorstellbar zu sein. Ledglich ein Junge aus Olching schätzte beide Fragen richtig. "Das ist ganz normal" analysierte die VCD-Verkehrsexpertin Elisabeth Zorn das Ergebnis. Die tatsächliche Gefahr von höheren Geschwindigkeiten werde allgemein unterschätzt. "Der Anhalteweg verlängert sich rasant - überproportional zur Zunahme der Geschwindigkeit. Tempo 30 auf Innerortsstraßen muss deshalb die Regel sein, denn nur dann sind die Straßen in Bayern so sicher, dass Schulkinder innerorts selbständig zur Schule, zum Sport und zum Spielen gehen können." Nach einer Studie aus der Schweiz sei die Bewegungsfreiheit im Wohnumfeld wichtig für die Entwicklung der Kinder.
Forderung: bessere Prioritätensetzung bei Verkehrssicherheitskampagne!
Nicht so glücklich ist der alternative Verkehrsclub mit der neuen, breit angelegten Kampagne der Bayerischen Staatsregierung, die einen Bogen um die Hauptunfallursache in Bayern, nämlich zu schnelles Fahren, mache."Und das, obwohl in Bayern -entgegen dem Bundestrend- 1999 sogar noch mehr Menschen auf den Straßen gestorben sind als im Vorjahr." kritisiert Matthias Striebich, der Vorsitzende des bayerischen VCD-Landesverbandes. Es sei zwar löblich, dass die Kampagne mit Ministerpräsident Stoiber als Schirmherr das wichtige Thema Verkehrssicherheit in den Mittelpunkt stelle, "der kommende Schwerpunkttag am 22. Juli mit dem Thema "unbekannten Verkehrsregeln" (u.a. zu Inline-Skating, zu Kreisverkehren und neuen TÜV-Regeln) sollte aber besser die offenbar ebenfalls unbekannte Verkehrsregel zum Fahren mit angepassten Geschwindigkeiten in den Mittelpunkt rücken." Dadurch ließen sich gleich Tausende von Unfällen vermeiden.
Kritik übt der VCD besonders am Innenministerium, das in den vergangenen Jahren mehrfach Toleranz gegenüber Rasern gezeigt hatte. So wurde aus einer Studie über Kinderunfälle die Empfehlung an die Kommunen abgeleitet, die Ausweisung der Tempo-30-Zonen restriktiv zu handhaben, da dort die Kinderunfallzahlen nicht so stark zurückgingen, wie außerhalb. Obwohl sich die Autofahrer bekanntermaßen sehr häufig nicht an bestehende Tempo-30-Regelungen halten, schob Minister Beckstein die Schuld den Kindern zu, die sich im Straßenraum solcher Zonen noch unvorsichtiger verhalten als im sonstigen Verkehrsraum und empfahl eine Reduzierung der Tempo-30-Zonen auf "baulich geeignete Bereiche". Ein Skandal, findet Elisabeth Zorn vom VCD, denn von Erwachsenen könne man sehr wohl verlangen, dass sie bestehende Geschwindigkeitsbegrenzungen einhalten. "Sonst könnte man ja auch fordern, Ladendiebstähle künftig nicht mehr zu bestrafen und stattdessen die offenen Regale für die Waren abzuschaffen, weil sie zum Stehlen verführen."
"Unverantwortliches Handeln nicht zulassen"
Der Verkehrsclub schlägt als Alternative zu den Empfehlungen der Staatsregierung drei Maßnahmen vor, um das Leben im Straßenverkehr wirksam zu schützen:
- Die Kommunen sollen ermutigt werden, Tempo 30 auf den Innerortsstraßen einzuführen, begleitend dazu aber verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und vor allem Geschwindigkeitskontrollen durchzuführen. Nachweislich geht dadurch nicht nur die Zahl an Geschwindigkeitsüberschreitungen, sondern auch Unfallzahl und Schwere der Unfälle zurück.
- Statt die Kinder in die Häuser zu verbannen, sollten bei der Bundesregierung Initiativen für die Einführung von Tempo 30 flächendeckend auf Innerortsstraßen eingebracht werden. Kein Autofahrer könne sich dann mehr herausreden, die Tempo-30-Zone "vergessen" zu haben.
- Die Bußgeldvorschriften müssen drastisch verschärft werden, und zwar mit einer progressiv ansteigenden Staffelung, entsprechend der progressiven Zunahme von Gefahren bei steigendem Tempo. "Grobe Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit" müsse als Straftatsbestand eingeführt werden. Denn was für Kampfhunde gelte, argumentiert die Verkehrsexpertin Zorn, müsse auch für Autos gelten: "Der Staat darf nicht zulassen, dass durch unverantwortliches Handeln des "Halters" eine permanente Bedrohung der Bevölkerung besteht."
Bei Nachfragen stehen zu Ihrer Verfügung:
Elisabeth Zorn, VCD-Verkehrssicherheitsexpertin, 2. Vorsitzende des VCD Bayern, Tel. 08152/78763
Matthias Striebich, 1. Vorsitzender des VCD Bayern